Oelstraße 9
An dieser Stelle ist etwa seit der Wende zum 20 Jahrhundert das Kempener Waisenhaus "St.-Annen-Hof", das aber auch lange den Namen Marienheim trug. Es wurde über lange Zeit von den Schwestern des Ordens "Unser lieben Frau" aus Mülhausen geführt.
Die ersten Kinder sind am 06. November 1889 in das „Waisenhaus" an der Oelstraße eingezogen. In den mehr als 130 Jahren haben sich nicht nur der Name, sondern auch das Angebot und die pädagogische Arbeit permanent verändert und weiterentwickelt. Heute bietet der St. Annenhof ein differenziertes Angebot aus einer Hand.[1]
Viele Jahre war dem Waisenhaus auch ein katholischer Kindergarten angeschlossen.
Im Verwaltungsbericht für die Jahre 1898–1909 der Stadt Kempen[2] findet man zur Entstehung des Waisenhauses folgende Zeilen:
Waisenpflege
Der Gemeindewaisenrat besteht aus den 4 gewählten Mitgliedern der städtischen Armen Deputation und dem katholischen Pfarrer, der stimmberechtigtes Ehrenmitglied der letzteren ist: Waisenrat und Armen Deputation sind somit organisch verbunden. Die Armen Deputation beschließt über Unterbringung und weitere Fürsorge jedes armen Waisenkindes. In Fällen, in denen es sich um protestantische Waisen handelt, wird der evangelische Pfarrer zugezogen.
Vierteljährlich findet eine Versammlung der Armen Deputierten statt, wobei auch die Waisenratssachen ihre Erledigung finden. Unter dem Vorsitze des Vormundschaftsrichters hat in den Jahren 1896, 1897, 1902, 1903, 1904, 1906 und 1908 je eine Sitzung der Gemeindewaisenräte des Gerichtsbezirkes stattgefunden. Auf Grund der Mitteilungen des Vormundschaftsgerichtes wird auf hiesigem Amte ein sog. Waisenregister geführt.
Nachdem die im Jahre 1824 von dem Weltpriester Ludwig Basels gegründete Anstalt zur Erziehung armer Kinder (siehe Nr. 3, B 4 dieses Berichtes) im Jahre 1876 eingegangen war, mußten die Waisen und verwahrlosten Kinder in Privatpflege gegeben werden. Im Laufe der Jahre machte sich jedoch immer mehr das Bedürfnis nach dem Vorhandensein eines Waisenhauses geltend. Infolge gemeinsamer Bemühungen des Waisenrates, der Armen Deputation, des katholischen Kirchenvorstandes und der Stadtverordnetenversammlung wurde unterm 21. September 1889 die ministerielle Genehmigung dazu erteilt, daß in hiesiger Stadt eine neue Niederlassung der Genossenschaft der Schwestern "Unserer Lieben Frau" zu Mülhausen, und zwar zum Zwecke der Pflege und Leitung in einem neu einzurichtenden kath. Pfarrwaisenhause errichtet werde. Sofort wurde mit der Einrichtung eines solchen begonnen. Die kath. Pfarrgemeinde stellte die dazu erforderlichen Gebäude zuerst mietweise, später durch Ankauf eines Teiles der vom Hospital nicht mehr in eigener Benutzung befindlichen Gebäulichkeiten an der Oelstraße. Konzessionsträgerin des Waisenhauses ist Schwester Maria Beatrix und Vorsteherin ist Schwester Maria Agnetia. Vorsitzender des Waisenhaus-Vorstandes ist der katholische Pfarrer.
Durch Vertrag vom 2. April 1889 verpflichtete sich die Stadt Kempen bis 6. November 1899, ihre hilfsbedürftigen katholischen Waisen und verwahrlosten Kinder in der Regel dem Waisenhause zu übergeben. Der Pflegesatz wurde auf 50 Pfg. vereinbart. Derselbe ist inzwischen auf 40 Pfg. herabgesetzt worden. Die beim Verlassen des Waisenhauses notwendige besondere Auskleidung der Waisen erfolgt für Rechnung der Armenkasse.
Es wurden im Waisenhause verpflegt:
1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 25 Kinder 27 19 18 34 20 34 28 29 45 60 Auf Kosten der Armenkasse Kempen waren im Waisenhause untergebracht:
1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 20 Kinder. 13 11 14 13 12 8 8 8 9 9
Auch zur Entstehung des Kindergartens – damals noch als Kleinkinder-Bewahrschule bezeichnet – an dieser Stelle liefert der Verwaltungsbericht[3] einige interessante Informationen:
Kleinkinder-Bewahrschule
Durch gemeinschaftlichen Erlaß der Herren Minister der geistlichen Angelegenheiten und des Innern vom 9. April 1890 wurde genehmig, daß die hier bestehende Niederlassung der Genossenschaft der Schwestern "Unserer Lieben Frau" zu Mülhausen ihre Tätigkeit auf die Übernahme der Pflege und Unterweisung von Kindern katholischer Konfession, die sich noch nicht im schulpflichtigen Alter befinden, in einer neu zu errichtenden Kleinkinder-Bewahranstalt ausdehne. Sofort wurde die Schule ins Leben gerufen. Auf Grund der Ministerial-Instruktion vom 31. Dezember 1839 zur Ausführung der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 10. Juni 1834 wurde diejenige Vorsteherin der höheren Töchterschule Schwester Maria Beatrix unterm 20. September 1900 als Konsessionsträgerin der Kleinkinder-Bewahrschule vom Ortsschulvorstande ernannt. Vorsteherin der letzteren ist Schwester Maria Agnetia. 4 Schwestern sind als Bewahrschullehrerinnen tätig. Das Schulgeld beträgt für Kinder bemittelter Eltern monatlich 60 Pfg. und für solche minder bemittelter Eltern monatlich 30 Pfg.: für arme Kinder wird ein Schulgeld nicht erhoben, da die Stadt zu den Unterhaltungkkosten der Anstalt einen jährlichen Zuschuss von Mk. 500 leistet.
Da Schule gerne besucht wird, beweisen nachstehende Zahlen.
1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 234 Kinder 223 198 212 176 156 183 196 204 210 240
- ↑ St. Annenhof, Wir stellen uns vor
- ↑ Lück (Hrsg.), Verwaltungsbericht der Stadt Kempen für die Jahre 1898–1909, S. 119
- ↑ Lück (Hrsg.), Verwaltungsbericht der Stadt Kempen für die Jahre 1898–1909, S. 160